19.Kapitel

 

Patrick erhob sich von seinem Schreibtisch, an dem er fast den ganzen Vormittag gesessen hatte. Blutgeruch lockte ihn zum Bücherregal.

Er schob drei Bücher mit identischen roten Buchrücken beiseite, drückte gegen ein Wandpaneel und nahm die Hand zurück, als es aufsprang. In dem Geheimfach standen eine Karaffe mit leuchtend rotem Blut und mehrere Gläser.

Patrick schenkte sich eins davon ein, stellte die Karaffe ins Fach zurück, schloss es und stellte die Bücher wieder davor. Dann schlenderte er zum großen Erkerfenster.

Draußen ging gerade eine Gruppe schwatzender und gestikulierender Damen vorbei. Mit flatternden Händen schienen sie sich etwas Amüsantes zu erzählen.

Violets Hände flatterten nie. Ihre Bewegungen waren immer anmutig und gemessen. Ihre Finger flogen nur, wenn sie Geige spielte oder ihn liebkoste.

Warum war er so unzufrieden? Er hätte froh sein sollen, dass Violet endlich nachgegeben hatte. Dass sie heute Abend zu ihm kommen würde. Er hatte seinen Anwalt bereits damit beauftragt, eine hübsche Wohnung für sie in der Nähe zu suchen. Warum war er dann immer noch so unruhig?

Er gestand es sich ein: Weil er nicht wusste, warum sie nachgegeben hatte. Es war ganz untypisch für sie. Violet war eine starke, mutige, ja, dickköpfige Frau. Sie tat nie, was man ihr befahl. Wieso hatte sie auf einmal ihre Meinung geändert?

»Mylord?«

Patrick wandte sich vom Fenster ab und der Tür zu, die einen winzigen Spalt offen stand. Mrs. Devon wusste sehr wohl, dass sie sein Arbeitszimmer nie ohne seine Erlaubnis betreten durfte.

»Ja, Mrs. Devon?«

»Da wären drei... Damen, die Sie gerne sehen möchten, Mylord. Soll ich ihnen sagen, dass Sie nicht da sind?«

Patrick schmunzelte. Seine Haushälterin hielt offensichtlich nicht viel von seinen Besucherinnen.

Er kannte nur eine Gruppe von Frauen, die unangemeldet auf seiner Schwelle auftauchen würde.

»Schon gut, Mrs. Devon, führen Sie sie bitte herein.«

»Wie Sie wünschen, Mylord«, sagte die ältere Frau missbilligend und ging, um die Tür zu öffnen.

Patrick lauschte ihren Schritten nach, leerte sein Glas und stellte es auf seinem Schreibtisch ab. Dann setzte er sich wieder in seinen Sessel.

Einen Moment später öffnete sich die Tür zu seinem Zimmer, und drei weibliche Vampire traten ein. Ihre Kleider waren derart tief ausgeschnitten, dass die Brustwarzen fast hervorschauten. Kein Wunder, dass Mrs. Devon verärgert war, dachte Patrick angewidert. Ihm selbst gefiel ihr Aufzug noch viel weniger. Rowena und ihre beiden Freundinnen waren offensichtlich auf Aufmerksamkeit aus - wie immer.

»Danke, Mrs. Devon, das wäre im Moment alles.« Sobald die pummelige Frau verschwunden war, richtete Patrick den Blick auf seine drei Besucherinnen.

»Clanführer.« Rowena trat mit respektvoll geneigtem Haupt vor.

Patrick lehnte sich zurück, die Hände vor dem Bauch gefaltet. Ihr hellblondes Haar fiel offen über ihren Rücken, ihre langen Wimpern waren züchtig gesenkt. Patrick jedoch wusste, dass an dieser Frau nichts Züchtiges war. Sie war in sexuellen Dingen nicht nur unersättlich und aggressiv, sondern nicht selten geradezu gewalttätig.

Die Stille dehnte sich aus, während Patricks Blick über Rowenas rotes Kleid glitt und über ihre Freundinnen, beides ebenfalls Blondinen, und beide hatten Rouge auf den weißen Wangen.

»Wie kann ich den Damen behilflich sein?«, fragte er schließlich und erteilte ihnen damit die Erlaubnis zu sprechen.

Rowena trat mit glitzernden blauen Augen und einem geheuchelten Ausdruck des Bedauerns näher. Er erinnerte sich wieder: Es war genau dieser Ausdruck gewesen, der ihn veranlasst hatte, seine kurze Affäre mit ihr zu beenden.

»Wir haben gehört, dass Elisabeth deine Gunst verloren hat, Clanführer. Und wir wollten uns davon überzeugen, dass es dir auch an nichts fehlt.«

Patrick musterte Rowena belustigt. Normalerweise hätte er ihr Angebot angenommen und sich mit den dreien vergnügt, musste aber zu seiner Überraschung feststellen, dass er nicht die geringste Lust dazu hatte.

»Es geht mir gut, danke der Nachfrage«, sagte Patrick bedeutungsvoll genug, um nicht missverstanden zu werden. »Leider bin ich im Moment sehr beschäftigt. Wenn das al- les ist...?« Dass das eine Lüge war, brauchten sie ja nicht zu wissen.

Rowenas Freundinnen zogen enttäuschte Mienen, auf Rowenas Gesicht dagegen machte sich ein Ausdruck verbissener Entschlossenheit breit.

»Clanführer.« Sie trat noch weiter vor und stützte sich auf seinen Schreibtisch. Er konnte ihre rosa Brustwarzen aus ihrem Ausschnitt hervorblitzen sehen, ein Anblick, der ihn eigentlich hätte erregen sollen, denn Rowena hatte einen herrlichen Körper - wenn ihr Charakter auch zu wünschen übrig ließ.

Zum ersten Mal seit ihrem Auftauchen verspürte er Unbehagen. Warum erregte es ihn nicht?

»Wir stehen dir immer zu Diensten«, hauchte sie.

Patrick schenkte ihr ein anerkennendes Lächeln, das nicht ganz ehrlich war. »Ich werde daran denken. Wenn mich die Damen jetzt entschuldigen würden, ich wünsche einen angenehmen Tag.«

Rowenas Augen blitzten zornig auf, doch sie fing sich sofort wieder und verbeugte sich. Patrick erhob sich und blickte den drei enttäuscht abziehenden Frauen nach.

Und was jetzt?, dachte er mürrisch, nachdem er die Tür geschlossen hatte. Die osmanischen Vampire, deren Ankunft er für heute Nachmittag erwartet hatte, würden sich aufgrund eines Sturms über dem Ärmelkanal verspäten. Ismail hatte ihm heute früh eine Nachricht geschickt. Die zwei weiblichen Vampire würden morgen eintreffen.

Ismail würde sicher enttäuscht sein, aber er, Patrick, hatte jetzt unversehens einen freien Nachmittag. Er ging zur Tür- Ob Violet heute auftreten würde? Er hatte ihr klargemacht, dass sie nicht länger beim Zirkus würde arbeiten müssen. Aber wie er sie kannte, würde sie heute Abend gewiss trotzdem in der Manege stehen.

Und er wollte sie sehen.

Patrick nahm seinen Mantel vom Haken bei der Tür und trat in den eiskalten Nachmittag hinaus. Er gab seinem Kutscher einen Wink, die Kutsche vorzufahren.

Als er den Zirkus erreichte, war der Abend hereingebrochen, der Himmel hatte sich dunkelblau verfärbt, und der Nordstern blitzte zwischen den rasch vorbeiziehenden Wolken hervor.

Patrick näherte sich dem Zelt und wurde von Violets Geigenspiel begrüßt. Noch bevor er den Eingang erreicht hatte, spürte er die Hitze, die aus dem großen Zelt drang. Es musste da drinnen ganz schön voll sein, dachte er.

Und tatsächlich, jeder Platz war besetzt; einige standen gar an den Zeltwänden, um sie spielen zu hören.

Patricks Blick glitt über die gut gekleideten Zuschauer in den ersten Reihen und richtete sich dann auf das Objekt seiner Begierde.

Sie war ganz in Weiß, so wie er sie erst einmal gesehen hatte. Ihre Carmenbluse reichte nur knapp über ihren Nabel; zwischen Rock und Bluse blieb ein Streifen Haut frei.

Violet wiegte sich mit geschlossenen Augen zum Klang ihrer Musik, einer traurigen, klagenden Melodie. Auf einmal sprangen ihre herrlichen grünen Augen auf und blickten ihn direkt an.

Patrick wusste ohne jeden Zweifel, dass sie ihn wahrnahm, auch wenn sie ihn nicht sehen konnte.

In diesem Moment trat ein Mann in die Manege und lenkte Patricks Aufmerksamkeit auf sich. Er war groß und muskulös und hatte einen dunklen Teint. Seine leuchtend blauen Augen waren durchdringend auf Violet gerichtet. Gereizt beobachtete Patrick, wie er auf Violet zuging, eine Geige in der Hand.

Ein Musiker, vermutete Patrick, und ein Zigeuner, so wie er aussah. Der Mann hob die Geige ans Kinn und begann zu spielen.

Nicht schlecht, musste Patrick widerwillig zugeben. Aber längst nicht so gut wie Violet.

Beide spielten eine Zeitlang, Violet führte, er folgte willig. Dann brach die Musik mit einem schrillen Ton jäh ab.

Das Publikum hielt den Atem an, auch Patrick. Die Spannung zwischen den beiden Artisten war greifbar.

»Romano Kheliben!«, rief Violet mit klarer Stimme in Altrumänisch.

Patrick verstand, er hatte die Grundzüge der Sprache von wandernden Zigeunern, die durch Schottland zogen, gelernt. Es hätte ihn nicht überraschen sollen, dass Violet die Sprache beherrschte, sie hatte ihm ja gesagt, dass sie bei Zigeunern aufgewachsen war. Und dennoch... ihr Englisch war so gepflegt, als stamme sie aus gutem Hause. Aber das konnte nicht sein.

Es ärgerte Patrick, dass er sie so wenig kannte. Er wollte alles über sie wissen.

Der große Zigeuner beantwortete ihren Ruf und begann zu spielen, eine fließende, langsame Melodie.

Violet legte ihr Instrument beiseite und raffte ihre Röcke. Patrick trat unwillkürlich näher.

Dann begann sie zu tanzen. Die Röcke bis zu den Knien angehoben, begannen ihre Füße sich wie von selbst zu bewegen.

Die Musik wurde schneller. Violet hob eine Hand.

Patrick stockte der Atem. Ihre Bluse rutschte hoch und gab den Blick auf ihren Nabel und den flachen Bauch frei. So wirbelte sie durch die Manege, und Patrick fühlte, wie er steif wurde.

Verdammt noch mal, was machte sie da?

Jetzt drehte sie sich, und ihr langes schwarzes Haar umwirbelte sie wie ein Schleier.

Die Luft im Zelt wurde dicker. Patrick roch die Anzeichen und wusste, dass Violets Tanz keinen Mann kalt ließ.

Eifersucht durchzuckte ihn. Violet ließ ihren Rock los und hob beide Hände. Mit klirrenden Goldarmreifen bewegte sie ihre schlanken, nackten Arme zum Takt der aufpeitschenden Musik. Das Publikum hielt den Atem an, als sie sich schließlich dem Geiger zuwandte. Sie wiegte sich vor ihm und begann dann um ihn herumzutanzen.

Patrick erstickte fast vor Zorn, als sie sich beim letzten Ton der Musik vor seine Füße warf.

Der Applaus war ohrenbetäubend, die Menschen sprangen auf und jubelten dem Paar zu. Patrick klatschte nicht. Ergrimmt sah er zu, wie der große Zigeuner Violet auf die Füße half.

Wenn der Schurke sie noch einmal anfasste, schwor er sich, würde er ihm den Hals umdrehen. Keinem Menschen darf ein Leid zugefügt werden, schoss es ihm durch den Kopf. Patrick knurrte frustriert.

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